Lieber Herr Botschafter Walter, Sie sind als Berufspate bei Berliner Schulpate aktiv. Was hat Sie damals bewogen, diese Idee zu unterstützen?

Wenn ich in Berlin bin, wohne ich in Moabit. In unserem Mietshaus kennt man sich und plaudert auch mal miteinander. So hat mich im Hausflur eine Mutter angesprochen, deren Kind am Programm „Abenteuer Beruf“ von Berliner Schulpate teilgenommen hatte. Sie wusste, dass ich Versicherungsexperte bin und fand, dass auch mein Beruf die Kinder interessieren könnte. Sie drückte mir ein Wochenblatt mit einer Anzeige von Berliner Schulpate in die Hand, ich rief dort an und war rasch von der Idee, Kindern schon in der Grundschule verschiedenste Berufe vorzustellen, überzeugt.

Das war vor drei Jahren. Seither bin ich durchgehend dabei und freue mich tatsächlich auf jede Berufe-Stunde mit den Kindern.

 

Was halten Sie von dem Konzept, bereits Grundschulkindern ab der vierten/ fünften Klasse Berufsbilder vorzustellen? Manche halten das für zu früh.

Also ich sehe das ganz anders. Kinder wollen Lokomotivführer*in werden, oder zur Feuerwehr. Das zeigt doch, dass sie schon in der Grundschule Berufe kennen und Berufswünsche haben, auch wenn sie nicht immer realistisch sind. Das ist jedenfalls meine Wahrnehmung. Dass man sie langsam und spielerisch, aber dennoch gezielt, darauf vorbereitet und ihnen zeigt, dass es sehr viele verschiedene Berufe gibt, ist sicher sehr hilfreich. Über die Jahre hinweg haben sie dann schon den einen oder anderen Beruf kennengelernt und wenn sie Praktika machen müssen, haben sie eine größere Auswahl an Möglichkeiten. Sonst bleiben sie bei den bekannten Berufen wie Polizist*in, Pilot*in oder Tierärzt*in hängen.

An meiner ehrenamtlichen Tätigkeit gefällt mir vor allem, dass die Kinder weitestgehend unvoreingenommen sind, auch ob der Wertigkeit einer Arbeit oder Funktion. Wenn zum Beispiel Berufspat*innen von der Gebäudereinigung mit in den Berufe-Stunden sind, sind die Kinder davon genauso begeistert, wie von dem/ der Krankenpfleger*in oder dem/ der Polizist*in. Sie machen noch keine oder wenige Unterschiede. Viele verstehen nicht, dass Menschen nur Funktionen wahrnehmen und dass man sich glücklich schätzen kann, wenn man einen Job hat, der einem Spaß macht. Wobei es natürlich viele Leute gibt, die einfach ihre Existenz sichern müssen. Da stellt sich die Frage der Freude an der Arbeit eher nicht. Ich bin in der glücklichen Lage, genau das zu machen, was mir Spaß macht. Und mir ist es wichtig, den Kindern in den Berufe-Stunden meine Freude an meiner Arbeit zu vermitteln.

 

Wie erklären Sie den Kindern Ihren Beruf? Das stelle ich mir nicht so einfach vor.

Ich male ihnen einfach diverse Schaubilder an die Tafel. Zum Beispiel: ein Auto fährt einem anderen Auto hinten drauf, das kennen die Kinder. Dann frage ich sie: Was kostet das und wer bezahlt den Schaden? So kommt man leicht ins Gespräch. Den einen Schaden zahlt die Haftpflicht und den anderen die Kaskoversicherung. Die Schadensschätzungen der Kinder liegen manchmal zwischen 500 und 1 Million Euro. Oft ist noch kein sicheres Gefühl für Geld vorhanden.

Dann erkläre ich, dass man alles Mögliche versichern kann und dass es in Versicherungen den Ausbildungsberuf Versicherungskaufmann/ -frau gibt. Die Kinder verstehen das alles durchaus. Das merke ich immer in der Schlussrunde, wenn die Kinder resümieren, was sie gehört haben.

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit den „Kleinen“ in den Berufe-Stunden gemacht?

Also die Neugier und Aufgeschlossenheit der Kinder ist super. Klar, einige sind manchmal etwas überfordert, wenn sie schon zwei oder drei Berufe kennengelernt haben. Dann schwindet die Konzentration bei manchen. Aber in der Regel machen sie aktiv mit. Je stärker man sie einbindet, um so begeisterter sind sie. Dafür lohnt es sich, mir spannende anschauliche Beispiele auszudenken.

Bemerkenswert ist auch, dass die Berufe-Stunden sehr unterschiedlich sind. Ich habe beobachtet, dass der Ablauf und die Dynamik mit davon abhängen, wie die Klassen mit ihren Lehrer*innen zurechtkommen, wie vertrauensvoll und klar die Beziehungen sind.

Große Hochachtung habe ich vor den Lehrer*innen, wie sie mit den unterschiedlichsten Kindern, mit unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Hintergründen jeden Tag klarkommen.

 

Ist Ihr Engagement bei Berliner Schulpate Teil Ihrer Strategie zur Nachwuchs-Akquise? Und gibt es genug Nachwuchs in der Versicherungsbranche?

Zur ersten Frage: nein. Als Berliner Schulpate bin ich rein privat unterwegs. Ich möchte einfach Grundschulkindern meinen Beruf vorstellen. Da steht der Gedanke an den Nachwuchs nicht im Vordergrund.

Allerdings nutze ich den Kontakt zu den Schulen, um mit Schüler*innen der 9. und 10. Klassen ins Gespräch zu kommen. Da geht es dann doch um die konkrete Nachwuchsgenerierung. In diesen Klassen stehen Praktika und Berufswahl an. Und auch die Versicherungsbranche sucht Auszubildende. Praktikant*innen und Auszubildende sind herzlich willkommen.

Die Branche der Versicherungswirtschaft bietet gute und vielfältige Zukunftschancen für junge Leute, denn wir in unserer Kultur brauchen und lieben Sicherheit.

 

Sie als unser „Botschafter“ heute, was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem „Nachwuchs“ klappt, Azubis sich für einen Beruf interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen können?

Da hätte ich einen Vorschlag, angelehnt an die Praxis der Feuersozietät. Zu uns kommen regelmäßig Trainees. Denen stellen Fachleute unseres Unternehmens im Stundenrhythmus die spezifischen Tätigkeiten und Sparten in unserem Hause vor.

Das Konzept könnte man in ähnlicher Weise auch auf 6.-Klässler*innen übertragen. Dabei könnte ein Unternehmen all jene Berufe vorstellen, die in diesem Unternehmen gefragt sind, bei der Feuersozietät beispielsweise neben der/ dem Versicherungsfachfrau/-mann auch IT-Spezialist*innen, Mathematiker*innen, Mediziner*innen, Jurist*innen, Elektriker*innen, Hausmeister*innen und einige mehr.

Mir ist bekannt, dass im Rahmen des Programms „Abenteuer Beruf“ auch Betriebsbesuche organisiert werden. In kleinen Gruppen, soviel ich weiß. Mir würde ein großer Raum vorschweben, ein Konferenzraum, oder eine Halle eines Industriebetriebs, in dem sich eine oder zwei Klassen treffen könnten, wenn Corona es zulässt. Das wäre effektiv, denn die Kolleg*innen könnten vielen gleichzeitig ihren Beruf vorstellen. Wobei mir natürlich klar ist, dass nicht jedes Unternehmen über die geeigneten Räumlichkeiten verfügt.

Und ich denke noch weiter: Vorstellbar wäre, dass Schulen und Unternehmen Vereinbarungen darüber treffen, dass Kinder, die an so einer Aktion teilgenommen haben, sich, wenn sie auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind, an das jeweilige Unternehmen wenden können, sich darauf beziehen können und sie dann auf jeden Fall zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Das nenne ich soziale Verantwortung. Wäre für Jugendliche bestimmt ein motivierendes Erlebnis, denn viele werden nie zu einem Gespräch eingeladen, bekommen nur Absagen.

Diese Symbiose von Schule und Unternehmen ist meines Erachtens eine Win-Win-Situation und könnte sich auch in der Republik rumsprechen. Berlin könnte mit so einem Konzept Vorreiter sein. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es so ein Konzept schon gibt.

Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate