Lieber Herr Botschafter Dinter, Sie sind als Berufspate bereits seit 2016 bei Berliner Schulpate aktiv. Was hat Sie bewogen, diese Idee zu unterstützen?

2016 habe ich meinen Meister gemacht und bekam eine Auszeichnung von der Berliner Handwerkskammer. Auf der Feier gab es einen Informationsstand von Berliner Schulpate und dort kam ich mit den Mitarbeiter*innen ins Gespräch. Ich fand die Grundidee cool und seither bin ich Berufspate.

In erster Linie sah und sehe ich in der Unterstützung von Berliner Schulpate eine gute Möglichkeit, meinen großartigen handwerklichen Beruf, ich bin Orthopädietechnikmeister, unter die Leute zu bringen. Ich wollte und will dafür sorgen, dass mein Beruf, der eher unter dem bekannten Beruferadar schwebt und den Grundschulkinder überhaupt nicht kennen, mehr Aufmerksamkeit erfährt.

 

Was halten Sie von dem Konzept, bereits Grundschulkindern ab der fünften Klasse Berufsbilder vorzustellen? Manche halten das für zu früh. Die meisten Maßnahmen setzen später an.

Als ich mich damals entschieden habe in Grundschulen zu gehen und meinen Beruf vorzustellen, haben einige Kolleg*innen und Mitstreiter*innen schon ihre Zweifel geäußert, ob das eine sinnvolle Idee ist. Ich selbst war ja auch am Anfang etwas skeptisch. Aber dann habe ich mir, getreu dem Motto von Friedrich Schiller: „Früh übt sich, was ein Meister werden will“, gesagt, je eher man anfängt über seinen Beruf zu sprechen, umso größer sind die Chancen, dass man dafür später erfolgreich Fachkräfte gewinnt.

 

Wie erklären Sie den Kindern ihren Beruf?

In die Berufe-Stunden nehme ich immer eine Prothese und auch andere Hilfsmittel mit. Anhand dieser Hilfsmittel ist es einfach den Kindern zu erklären, was ich mache. Sie dürfen sie anfassen, bewegen und auch ausprobieren. Das finden die Kinder meistens interessant. Erst recht, wenn sie dazu noch einen Film sehen, in dem Patient*innen mit einer Prothese zum Beispiel wieder laufen können. Dann verstehen sie sofort, wie sinnvoll und wichtig mein Beruf ist. Das ist schön.

 

Wie nehmen die Kinder Ihren Beruf auf? Gibt es Berührungsängste?

Nein, es gibt keine Berührungsängste. Meistens sind alle neugierig, manche sind natürlich, gemäß ihrer Persönlichkeit offensiver, andere etwas zurückhaltender, aber grundsätzlich sind alle sehr interessiert an meinem Beruf. Häufig erlebe ich auch, dass Kinder erzählen, dass eine Tante auch eine Prothese hat oder ein Opa im Rollstuhl sitzt. So kommt man ins Gespräch und die Kinder stellen einen Bezug zum Alltag her. Ab und zu bin ich in der Grundschule am Wasserwerk in Spandau. Eine Schule, die Inklusion sehr ernst nimmt. Da sind Schüler*innen in den Klassen, die eine Orthese haben, oder die im Rollstuhl sitzen. Da ist mein Thema ganz nah.

Die Kinder haben keine Berührungsängste, eben durch das Inklusionskonzept. Viele lernen schon im Kindergarten, dass manche Kinder aufgrund einer Beeinträchtigung mehr Unterstützung brauchen. Für sie ist das selbstverständlich und überhaupt kein Thema. Es ist klar, dass jemand Hilfe braucht und die gibt man einfach. Da findet einfach weniger Ausgrenzung statt. Ich glaube mit dem Inklusionsgedanken hat ein guter Umdenkungsprozess begonnen.

 

Welche Voraussetzungen sollten Jugendliche mitbringen, die sich für eine Ausbildung zum/ zur Orthopädietechniker*in interessieren?

Orthopädietechnik ist ein Handwerksberuf. Ich erwarte in erster Linie ein handwerkliches Grundgeschick von meinen Azubis. Sie sollten schon wissen, wie man einen Hammer anfasst oder einen Schraubenschlüssel. Über dieses handwerkliche Grundgeschick verfügen viele Jugendliche nicht mehr. Der Werkunterricht in den Schulen wurde abgeschafft. Keine gute Idee, wie ich finde.

Und dann ist noch eine Offenheit gegenüber Menschen sehr wichtig: Keine Vorurteile, ein großes Maß an Empathie, Kontaktfreudigkeit, Neugier und Hilfsbereitschaft sind wichtige Eigenschaften in meinem Beruf.

Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise ein schlimmes Erlebnis hinter sich haben, oft auch relativ frisch, wenn wir zum Beispiel in die Krankenhäuser gehen. Da muss man ein gutes Einfühlungsvermögen haben und sich schnell auf die jeweilige Situation einstellen können. Bei uns im Unternehmen arbeiten nur geschulte und erfahrene Mitarbeiter*innen an Patienten.

 

Wie steht´s mit dem Image dieses Berufes?

Als ich vor fast 30 Jahren den Beruf erlernt habe, da waren wir noch die sogenannten „Holzbeinschnitzer“ oder die „Hufschmiede“. Das ist lange her. Auch bei uns hat die Digitalisierung Einzug gehalten, Wir arbeiten mit computergesteuerten Hilfsmitteln, mit hochmodernen Materialien wie Silikon, Carbon, Aramid oder Titan. Holz findet sich so gut wie gar nicht mehr wieder. Im Prinzip kann heutzutage eine Prothese von einem 3D-Drucker produziert werden. Das ist eine unglaubliche Entwicklung. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass wir als Orthopädietechniker*innen immer mit sensiblen Patientendaten umgehen. Mir persönlich ist es wichtig, dass meine Patient*innen wissen, dass ihre Prothese nicht von irgendeiner Maschine gefertigt wurde, sondern dass sie handwerklich gefertigt wurde. Sollte sich allerdings der Fachkräftemangel auch in unserem Betrieb bemerkbar machen und ich keine Mitarbeiter*innen mehr finden, dann würde auch ich diese Möglichkeit in Erwägung ziehen.

 

Ist Ihr Engagement bei Berliner Schulpate ein Teil Ihrer Strategie zur Nachwuchs-Akquise?

Ich betrachte mein Engagement bei Berliner Schulpate als einen ersten Grundstein für die Nachwuchs-Akquise. Danach gibt es noch viele andere für Jugendliche. Was ich aber festgestellt habe und was für mich viel wichtiger ist, ist, dass dieser Kontakt mit den Grundschulkindern eine gute Möglichkeit ist, jung zu bleiben. Oft komme ich aus solchen Berufe-Stunden und freue mich über diese Kindlichkeit oder über so nette unerwartete Fragen oder Reaktionen, über völlig überraschende Ansichten und Gedanken zu meinem Beruf. Das ist absolut erfrischend und macht Spaß.

 

Sie als unser „Botschafter“ heute, was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem „Nachwuchs“ klappt, Azubis sich für Berufe interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen?

Klar ist, wir brauchen Azubis. Ohne Azubis haben wir keine Zukunft, weder im Handwerk noch im Dienstleistungsbereich. Deswegen ist es wichtig, dass wir um jeden und um jede interessierte Person buhlen. Es liegt an uns, sie zu gewinnen und unter unsere Fittiche zu nehmen, wenn sie in unserem Wirkungsbereich auftauchen. Und es liegt auch an uns dafür zu sorgen, unsere Berufe bekannt zu machen, ein gutes Image zu vermitteln und gewisse, sich hartnäckig haltende Vorurteile, zu entkräften.

Elementar wichtig, um ein guter Azubi werden zu können, ist eine gute Schulbildung. Nach 10 Jahren Schule erwarte ich, dass die Jugendlichen lesen, rechnen, schreiben und englisch können. Sie müssen im dualen Ausbildungssystem ja schließlich auch die Berufsschule schaffen.

Ich sitze im Innungsvorstand der Landesinnung Berlin-Brandenburg. Dort höre ich allerdings von den Mitarbeitenden und im Kollegenkreis, dass das Bildungsniveau vieler Jugendlichen nicht befriedigend ist. Dann stellt sich schon ernsthaft die Frage, wie Jugendliche es schaffen können, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen.

 

Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate.