Erinnern Sie sich noch daran, was Sie als Kind werden wollten? Wer oder was sie damals zu diesem Berufswunsch hin beeinflusst hat?

Ja, ich erinnere mich noch sehr gut daran. Ich wollte schon in ganz jungen Jahren Religionslehrerin werden. Auch bei mir war es so wie bei den meisten Kindern, dass ich mich an einem Vorbild orientierte. Mein Vorbild war eindeutig meine Religionslehrerin. Sie hatte die Fähigkeit, Religion und alles, was damit zusammenhängt, so farbig und so interessant zu vermitteln, dass ich tief beeindruckt war und das auch so können wollte.

Doch dann eröffnete sich ein anderer beruflicher Weg?

Stimmt. Das kann passieren, wenn man in den großen Sommerferien so gar nichts vorhat und der Papa vorschlägt, mir mein Taschengeld in unserer Kfz-Werkstatt etwas aufzubessern, indem ich ein Praktikum mache. Da war ich 14 Jahre. Ich bin tatsächlich aus dem Praktikum rausgegangen mit dem Gedanken, jetzt nicht Autos reparieren zu wollen – obwohl das in den 70er, Anfang der 80er Jahre bei Frauen sehr beliebt war – sondern ich wollte es eher mit Kunden zu tun haben, ich wollte in die Beratung. Das fand ich spannend und so schlug ich diesen Weg ein.

Es wird intensiv über den Nachwuchsmangel im Handwerk diskutiert. Was sind I. E. die Gründe für den aktuellen Nachwuchsmangel?

Da komme ich nochmals auf mich zurück. Ich gehöre zur Generation der sogenannten Babyboomer. Das führt mich zum Stichwort „demografischer Wandel“. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Viele Menschen werden in den kommenden Jahren den Arbeitsmarkt verlassen. Das ist problematisch, vor allem verbunden mit der Tatsache, dass es weniger junge Leute gibt, die auf den Ausbildungsmarkt streben. Um diese Menschen konkurrieren wir im Handwerk mit anderen Akteuren der Wirtschaft.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich gewisse Mythen im Handwerk hartnäckig halten. Zum Beispiel der der schlechten Bezahlung. Der ist in vielen Bereichen komplett überholt. Die Verdienstmöglichkeiten werden immer attraktiver und sich noch weiter steigern, vor allem im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Die Auftragsbücher der Handwerkerinnen und Handwerker sind gefüllt, der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften ist groß. Aber es gibt nur wenige. Schon allein dadurch wird die Bezahlung immer besser.

Dann kämpfen wir noch mit dem Mythos „schwere körperliche Arbeit“. Natürlich wird im Handwerk nach wir vor körperlich gearbeitet. Ist ja klar. Aber viele Berufsbilder haben sich mittlerweile komplett verändert. Innovative Technologien, Geräte und Materialien werden eingesetzt. Die Digitalisierung hält auch im Handwerk Einzug und vereinfacht vieles. Diesen Wandel haben wir m.E. noch nicht ausreichend kommuniziert, der ist in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen.

Gibt es noch etwas, was im Handwerk anders ist als viele meinen? Ich denke in Richtung „grünes Handwerk“. Wie sieht das Handwerk in der grünen Zukunft aus oder wie sieht das grüne Handwerk in der Zukunft aus? Gibt es da Vorstellungen?

Das ist lustig, dass Sie das ansprechen. Im Rahmen meiner Sommertour im vergangenen Jahr – da besuche ich Handwerksbetriebe – habe ich mit vielen Menschen genau über dieses Thema gesprochen. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, darüber diskutieren, wie wir dort hinkommen können, dann müssen wir das Handwerk stark miteinbeziehen, denn es ist das Handwerk, letztendlich die Handwerkerinnen und Handwerker, die es am Ende des Tages richten müssen.

Egal wo wir hinschauen: Ob auf energetische Sanierungen, die Installation von Photovoltaikanlagen auf Dächern oder den Bau von Windenergieparks – um nur einige Bereiche exemplarisch zu nennen –, für den Bau all dieser Dinge benötigen wir Handwerkerinnen und Handwerker. Fachkräfte mit dem „grünen Daumen“, allerdings nicht im Sinne von Gartenarbeit, sondern im Sinne von „grünes Handwerk“. Ohne das Handwerk lassen sich Umweltschutz und Energiewende nicht umsetzen.

Umso interessanter, dass die Erreichung der Klimaziele kaum mit dem Handwerk verknüpft ist. Wie lässt sich das ändern?

Ich glaube, dass wir da bereits in den Schulen beginnen und dort die Gespräche intensivieren sollten. Schon die kleinen Kinder machen sich ja große Sorgen um die Zukunft und fragen: Wird es jetzt immer wärmer auf der Welt? Schmelzen die Eisberge? Man muss ihnen klarmachen, dass man viel erreichen kann, dass man das aber auch richtig anpacken muss, im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist zwar wichtig, dass wir junge Menschen haben, die auf die Straße gehen und bei Fridays for Future demonstrieren, keine Frage. Aber man muss auch gucken: Was packen wir denn ganz praktisch an? Denn die Demonstrationen allein werden nicht ausreichen. Wir müssen irgendwie gemeinsam schauen, wie wir diese Klimaziele erreichen. Und lediglich zu sagen, es sollen keine Autos mehr fahren, das reicht nicht aus. Ich bin sehr gespannt, wie sich alles entwickeln wird. Wir können vor diesem Hintergrund nur immer wieder schauen, dass wir für unsere Handwerks-Berufe werben und möglichst deutlich machen, dass es sich hier um Berufe handelt, die für die Zukunft stehen, dass man durch sie Zukunft selber aktiv mitgestalten kann.

Wie kann es gelingen, das Image des Handwerks zu verbessern und es insbesondere für Jugendliche attraktiver zu machen?

Das ist eine gute Frage, die ich Ihnen nicht so leicht beantworten kann. Das Thema hat etwas mit gesellschaftlicher Wertschätzung zu tun. Diese lässt zu wünschen übrig. Um sie zu erreichen, kann man viel machen – und das machen wir ja auch: In den letzten Jahren zum Beispiel mit unserer bundesweiten Imagekampagne zum Handwerk. Das kam gut an und tat dem Image des Handwerks tatsächlich gut.

Auch weisen wir in Gesprächen und Diskussionen und bei jeder passenden Gelegenheit auf die positiven Aspekte des Handwerks hin, aber der Prozess dauert.

Erfreulicherweise wurde auch durch die Pandemie der Blickwinkel auf das Handwerk verändert. Es wurde als systemrelevant eingestuft. Das hörte sich schon mal staatstragend an und bedeutet für die Beschäftigten eine Wertschätzung. Denn es stimmt ja, und ich komme deshalb auch immer wieder darauf zurück: Es geht nicht ohne das Handwerk. Das müssen wir nur noch begreifbarer machen. Um junge Menschen für das Handwerk begeistern zu können, brauchen wir mehr gesellschaftliche Akzeptanz, brauchen auch die Unterstützung der Lehrkräfte, Eltern und Großeltern. Ein Umdenken ist nötig. Natürlich brauchen wir auch Akademiker und Akademikerinnen – aber nicht nur.

 Wie könnte eine Optimierung der Berufsorientierung aussehen?

Bei der Berufsorientierung bieten wir, wie ich finde, viele Möglichkeiten, wobei man natürlich immer alles noch optimieren kann. Mit Berliner Schulpate fangen wir unglaublich früh damit an, bereits in den 4., 5. und 6. Klassen. Dann gibt es für ältere Kinder den Talente Check und den Showroom Berlin, den wir gemeinsam mit der IHK anbieten. Jugendlichen, die kurz vor dem Schulabschluss stehen oder ihn bereits haben, steht das Karrieremobil zur Verfügung, mit dem wir auf Schulhöfen und zentralen Plätzen in Berlin über Handwerksberufe informieren.

Darüber hinaus finde ich noch eine andere Frage spannend: Alle Leute freuen sich heutzutage sehr, wenn eine Handwerkerin oder ein Handwerker kommt, etwas repariert oder installiert. Doch können sich diese Leute vorstellen, dass auch ihre Kinder eine Handwerkerin oder ein Handwerker werden? Sie schätzen ein gut gebackenes Brot, aber würden sie wollen, dass ihr Kind Bäckerin oder Bäcker wird? Das greift nochmals auf, was ich vorhin schon streifte. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft. Wir müssen davon wegkommen, dass Kinder und Jugendliche, die in eine Ausbildung gehen wollen, komisch angeguckt werden und insgeheim gedacht wird: Warum willst du denn eine Ausbildung machen? Geh´ doch lieber studieren. Ich wünsche mir eine Gleichwertigkeit zwischen einer handwerklichen und einer akademischen Ausbildung. Solange wir die nicht erreichen, bleibt es schwierig fürs Handwerk.

Welche Rolle spielt Berliner Schulpate beim Thema Berufsorientierung? Wie bewerten Sie die Grundidee, mit beruflicher Orientierung bereits in der Grundschule zu beginnen?

Es ist, wie ich finde, sehr wichtig, Kindern bereits in jungen Jahren eine gewisse berufliche Orientierung, auch gerade was Handwerksberufe angeht, anzubieten und zu nutzen, dass die Kinder noch offen und neugierig sind. Dass Berufspatinnen und Berufspaten als Berufsvorbilder dienen, ist großartig. Sie federn ab, dass es in vielen Familien nur wenige oder keine Berufsvorbilder gibt. Das sollten wir nicht vergessen. Von daher sage ich: Wenn es die Berliner Schulpate gGmbH nicht schon gäbe, sollten wir sie heute und hier erfinden.

Ich würde mir nur wünschen, dass es in irgendeiner Form möglich wäre, diese Begeisterung der Kinder zu erhalten und sie auf die späteren Schuljahre zu übertragen. Dass sie nicht von Lehrkräften und Eltern gestoppt werden, die ihnen – in gut gemeinter Absicht – davon abraten, ins Handwerk zu gehen. Vielleicht würde der eine oder der andere Weg mit sehr viel mehr Sinnhaftigkeit begangen werden.

Denn Folgendes hat mich in meinen Gesprächen mit jungen Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhabern fasziniert: Einige erzählten, dass sie studiert und ihr Studium auch abgeschlossen hätten, dass sich ihnen aber irgendwann die Sinnfrage stellte und es ihnen wichtig war, am Ende des Tages sehen zu können, was sie mit ihren Händen geschaffen hatten.

Was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem Nachwuchs klappt, Azubis sich für einen Beruf interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen?

Naja, das was Berlin braucht, das braucht auch das ganze Bundesgebiet. Aber beschränken wir uns hier auf Berlin. Wenn ich mir etwas für Berlin wünschen darf, dann wünsche ich mir von der Berliner Politik, dass sie mit dazu beiträgt, dass die Wertschätzung für das Handwerk gestärkt wird. Da sind wir mit den Akteurinnen und Akteuren, die wir jetzt vor Ort haben, auf einem guten Weg. Diese Wertschätzung muss mit geradem Rücken vertreten und nach außen getragen werden, sodass sie deutlicher in der Berliner Gesellschaft ankommt, insbesondere auch in den Schulen. Wenn wir z. B. eine Schulsenatorin haben, die sich auch für berufliche Bildung stark macht, wenn wir eine Regierende Bürgermeisterin haben, die sich für berufliche Bildung stark macht, dann sind das eben auch Vorbilder, die vielleicht in den eigenen Reihen, sowohl in der Politik als auch in den entsprechenden Ressorts, ihren Wiederklang finden. Das würde ich mir wünschen, weil es für meine Begriffe der richtige Weg ist. Es muss allen ganz klar sein: Wir brauchen das Berliner Handwerk. Wir brauchen es, um die Stadt am Laufen zu halten.

Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate.