Liebe Frau Botschafterin Manthei, Sie sind seit Kurzem als Berufspatin bei Berliner Schulpate aktiv. Was hat Sie bewogen, diese Idee zu unterstützen?

Also ich bin, ehrlich gesagt, ganz zufällig zu Berliner Schulpate gekommen. Eigentlich wurde meine Kollegin Frau Seewald darauf angesprochen, eine Berufe-Stunde in der Grundschule am Amalienhof in Spandau mitzugestalten. Sie hatte aber keine Zeit und so bin ich spontan eingesprungen. Es hat mir total Spaß gemacht, mit den Kindern über meinen Beruf der Bibliothekarin zu sprechen. Ich finde die Idee, bereits Grundschulkindern Berufe nahezubringen, super und mir war ziemlich schnell klar, da bleibe ich gerne dabei.

Was ich den Kindern vor allem mit auf den Weg geben möchte, ist, dass mein Beruf und auch mein Arbeitsort sinnstiftend sind. Hier geht es nicht um Konsum und um noch mehr Wachstum. Wir stellen Sachen und Raum zur Verfügung, die viele nutzen können. Das finde ich toll! Ich meine, es gibt ja jetzt solche Trends wie Sharing Economy usw. Dabei wird so getan, als ob das alles ganz neu wäre. Dabei leben Bibliotheken diese Grundidee doch schon ziemlich lange.

Was halten Sie von dem Konzept, bereits Grundschulkindern ab der vierten, fünften Klasse Berufsbilder vorzustellen? Manche halten das für zu früh. Die meisten Maßnahmen setzen später an.

Wie gesagt, ich finde das Konzept klasse! Warum nicht in den 4. oder 5. Klassen mit einer Art früher Berufsorientierung starten? Die Kinder sind interessiert, unvoreingenommen und noch nicht so festgelegt. Die Gehaltsfrage oder welches Prestige ein Beruf hat, stehen noch nicht an erster Stelle.

Damit sich Jugendliche gegen Ende der Schulzeit, wenn es schon um eine gezielte Berufswahl geht, für einen Beruf entscheiden können, sollten sie möglichst viele Berufe kennengelernt haben. Damit kann man ruhig in den Grundschulen beginnen oder sogar noch früher. Ich erlebe auch in meiner Arbeit mit Kita-Kindern, dass sie großes Interesse an solchen Kinderbüchern haben, die von verschiedensten Berufen handeln.

In unserem Schulsystem lernt man viel konkretes Faktenwissen. Das beinhaltet jedoch nicht, dass man eine Vorstellung darüber entwickelt, welcher Beruf einem was abverlangt. Gerade dafür finde ich es wichtig, realistische Einblicke in Berufe zu bekommen. Nicht erst im Praktikum, sondern deutlich vorher. Um sehen zu können, was denn alles dahintersteckt. Und auch um ggf. einen konkreten Anlass zu haben, sich um gute Noten zu bemühen und sich in der Schule anzustrengen, weil man erkannt hat, dass man nur so eine echte Berufsauswahl hat bzw. seinen Traumberuf wird ausüben können.

Sie sind Bibliothekarin. Klingt ein bisschen verstaubt. Wie sieht Ihre Arbeit aus? Wie hat sich das Berufsbild gewandelt?

Ja, das Bild der vorrangig weiblichen, älteren, strengen, für Ruhe sorgenden Bibliothekarin mit dem Dutt und der Halbmondbrille hält sich hartnäckig in den Köpfen. Auch in Medien und Büchern wird dieses Bild noch immer transportiert. Selbst Madam Irma Pince, Bibliothekarin von Hogwarts, bedient dieses Klischee. Aber das entspricht nicht mehr der Realität, zumindest nicht in unseren öffentlichen Bibliotheken und erst recht nicht hier in der Kinder- und Jugendbibliothek.

Wir sind ein sehr lebhaftes Haus. Vormittags besuchen uns hier viele Gruppen, mit denen wir Programmarbeit machen. Wir bieten Lesungen und veranstalten Workshops, die wir auch selber durchführen. Zusätzlich haben wir natürlich den Auskunftsdienst, bei dem wir am Pult sitzen und den Überblick über alles bewahren.

Nur die wenigsten wissen übrigens, dass wir in unserer Bibliothek zunehmend auch Roboter einsetzen. Denn es wurde ein neues Leitbild entwickelt, das sinngemäß sagt: Wir möchten den Kindern vermitteln, was sie besser heute als morgen selbst können sollten. Und dazu gehört auch, dass die Kinder spielerisch Logik verstehen und lernen, wie man beispielsweise selbst Schritt für Schritt einen kleinen Roboter so programmiert, dass er bestimmte Strecken oder sogar einen ganzen Parcours mit Hindernissen abfährt.

Besuchen Kinder und Jugendliche heutzutage noch Bibliotheken? Wofür interessieren sie sich? Lesen sie noch?

Früher waren die Bibliotheken eine klassische Verleihstation von Büchern. Das wandelt sich gerade enorm. Wir verstehen unsere Bibliothek, neben dem Zuhause und der Schule oder dem Arbeitsplatz, als einen „dritten Ort“, an dem man sich gerne aufhält.

Der Bedarf an so einem dritten Ort ist riesig. Gerade Jugendliche kommen super gerne, nutzen die Bibliothek als Arbeitsort, um sich auf die MSA-Prüfungen vorzubereiten. Sie sitzen in Gruppen, nutzen die PCs für die Recherche, arbeiten an ihren Plakaten oder Präsentationen. Da wird es auch schon mal etwas lauter. Es ist aber auch nicht mehr so wichtig, dass es hier mucksmäuschenstill ist.

Der Medienkonsum der Jugendlichen ändert sich natürlich, aber viele lesen schon noch. Es ist aber weniger geworden, denn Bücher müssen heute mit attraktiven anderen Medien konkurrieren. Ihr Leseverhalten hängt im Wesentlichen davon ab, inwiefern in den Familien noch vorgelesen wird – und das ist sehr unterschiedlich. Je nachdem, ob und wie die Lesesozialisation in der Familie erfolgt, kommen die Kinder und Jugendlichen später zu uns. Insgesamt können wir uns über mangelnde Besucher*innen aber nicht beklagen.

Welche Ausbildung braucht man, um Bibliothekar*in zu werden?

Man kann den Beruf entweder studieren, dann ist man Bibliothekar*in oder man macht eine dreijährige Ausbildung, dann ist man ein*e sogenannte*r FAMI, Fachangestellte*r für Medien und Informationsdienste.

Welche Voraussetzungen sollten Jugendliche mitbringen, die sich für eine Ausbildung oder ein Studium zum/ zur Bibliothekar*in oder FAMI interessieren?

Es muss nicht unbedingt die Lust am Lesen sein, wie viele glauben. Es ist natürlich hilfreich, viele Bücher zu kennen, gerade wenn Kund*innen eine Buchempfehlung erwarten, aber andere Eigenschaften bzw. Kernkompetenzen sind noch wichtiger. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, bei uns stehen die Kund*innen im Mittelpunkt. Wir müssen serviceorientiert sein und auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen eingehen können. Wir müssen kommunikationssicher und kommunikationsstark auftreten und ziemlich flexibel sein. Das ist die eine Seite. Und auf der anderen Seite halten auch technische und IT-technische Komponenten zunehmend Einzug. Auch gegenüber diesem Bereich sollte man aufgeschlossen sein. Eine „ich verkrieche mich in meine Bücher-Mentalität“ ist also nicht vorteilhaft.

Ist Ihr Engagement bei Berliner Schulpate ein Beitrag zur Nachwuchs-Akquise für die Branche?

Nein, Nachwuchs-Akquise ist nicht unser primäres Ziel. Dafür ist es vielleicht doch noch ein bisschen zu früh in der 4. oder 5. Klasse. Wir haben auch nicht unbedingt einen Mangel an Nachwuchskräften. Bis jetzt konnten wir unsere Azubi-Stellen immer gut besetzen. Was für uns eher wichtig ist, ist das Bibliothekar*innen-Image richtigzustellen. Wir möchten, dass die Kinder einen realistischen Eindruck davon bekommen, was unser Berufsfeld wirklich umfasst.

Sie als unsere „Botschafterin“ heute, was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem „Nachwuchs“ klappt, Azubis sich für Berufe interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen?

Generell finde ich es wirklich wichtig, den Kindern und Jugendlichen ein möglichst realistisches Bild der Berufe zu vermitteln. Sie sollten von Anfang an gut in diesem Thema begleitet werden, nicht erst in den letzten Schuljahren, wenn schon so vieles gelaufen ist und sie andere Dinge im Kopf haben. Durch bessere Aufklärung würden weniger Leute ihr Studium oder ihre Ausbildung abbrechen. Davon bin ich überzeugt.

Früher hieß es: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ich beobachte, dass sich diese Sichtweise ändert und ein Mentalitätswandel stattfindet, was ich gut finde. In den fünf Jahren, in denen ich hier in der Kinder- und Jugendbibliothek arbeite, hat zum Beispiel noch kein Azubi die Lehre abgebrochen. Warum? Weil wir unsere Azubis ernst nehmen, wir sie sehen und sie mit einbeziehen. Wir versuchen, ihnen alles für ihren Beruf Wichtige mitzugeben, damit sie von sich aus sagen können: Hey, ich bin gerne hier, ich bin Teil des Kollegiums, es macht mir Spaß und ich lerne etwas, was meinen Fähigkeiten entspricht!

Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate.