Lieber Herr Botschafter Arndt, Sie sind als Berufspate bei Berliner Schulpate aktiv. Was hat Sie bewogen, diese Idee zu unterstützen?

Als wir von der Firma Frisch & Faust von Berliner Schulpate hörten, war es sofort klar, dass wir da mitmachen wollen. Die Idee entspricht vollkommen unserer Einstellung, dass man nicht früh genug mit beruflicher Bildung anfangen kann. Das gilt auch insbesondere für unsere Berufe. Wir sind Kanal- und Rohrleitungsbauer, systemrelevante Berufe, denn wir kümmern uns um das wichtigste Lebensmittel überhaupt – Wasser – aber weder Eltern, Lehrkräfte noch Arbeitsagenturen haben diese Berufe auf dem Schirm. Deshalb möchten wir den Kindern so früh wie möglich zeigen, was da alles Spannendes unter der Erde passiert.

 Was halten Sie von dem Konzept, bereits Grundschulkindern ab der vierten/ fünften Klasse Berufsbilder vorzustellen? Manche halten das für zu früh.

Für uns gibt es kein zu früh. Von mir aus könnte man Berufsbilder auch gerne schon in den Kitas vorstellen. Je früher die Kinder verschiedene Berufe kennenlernen und feststellen, was ihnen Spaß macht und was sie können, umso besser. Dann besteht die Möglichkeit, dass sie ihren Beruf nach ihren tatsächlichen Fähigkeiten aussuchen.

Beschäftigen sich die Jugendlichen erst in der 8. oder 9. Klasse mit dem Thema, reden wir von hunderten neuen Berufen, die alle plötzlich aufploppen und die Jugendlichen überfordern. Aber wenn sie frühzeitig Berufen begegnen, kann eine gewisse eigene Sondierung stattfinden: Bin ich sportlich, habe ich eine Lese-/Wort- oder Mathematikaffinität? Eine Biologieaffinität? Oder finde ich Geschichte super?

Wir müssen also frühzeitig anfangen, den Kindern dabei behilflich zu sein, herauszufinden, ob sie eine Begabung oder ein besonderes Interesse haben.

Zur Vorstellung unserer Berufe haben wir in der Regel zwischen 20 und 60 Minuten Zeit. Die nutzen wir, um den Kindern ganz praktisch zu erklären und zu zeigen –  wir haben auch Praxisteile dabei –  wie Wasser unter der Erde fließt oder wie man mit Abwasser umgeht. Und mit Pflastersteinen können sie ausprobieren, ob sie z.B. vier Steine in der gleichen Höhe auf eine Linie legen können. Da wird es schon spannend. Viele können das, wissen es nur nicht. Und darum geht es. Um das Entdecken der Fähigkeiten und der positiven Verstärkung. Mir wäre es lieb, in der 7., 8., 9. und 10. Klasse nochmal unsere Berufe zeigen zu können, und zwar in den Schulen. Nicht auf einer anonymen Berufsbildungsmesse mit 80–120 Ständen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den „Kleinen“ in den Berufe-Stunden gemacht?

Die Kinder sind neugierig und wir schaffen es fast immer, sie zu interessieren, indem wir so banale Fragen stellen wie: Wer hat sich heute die Zähne geputzt? Ist euch aufgefallen, dass ihr keine nassen Füße habt und keinen Schlamm an den Schuhen, weil die Straße gepflastert ist? Wer war heute schon auf der Toilette? Wir reden über Sachen, die sie aus dem Alltag kennen und damit kriegen wir ihre Aufmerksamkeit. Dieser Einstieg ist super.

Die 5.- und 6.-Klässler*innen sind noch offen. Deshalb finden wir diese Klassenstufen auch so gut. Sie kommen mit tollen Ideen, die oft logisch und intuitiv richtig sind und sie reagieren auf Fragen. Das hat mich beim ersten Besuch als Berliner Schulpate total überrascht. Ich kannte ja schon 8. und 9.-Klässler*innen. Die sind oft ruhig, vielleicht kann man aber auch desinteressiert dazu sagen.

 Ist Ihr Engagement bei Berliner Schulpate ein Teil Ihrer Strategie zur Nachwuchs-Akquise?

Ja. Selbstverständlich. Wir brauchen jetzt und auch in zehn Jahren noch Nachwuchs. Wenn wir es schaffen, die Wertschätzung für unsere Berufe zu erhöhen, bei den Schüler*innen, Lehrkräften und Eltern, dann ist schon viel gewonnen. Alle, die wir früh für unsere Berufe interessieren und sensibilisieren können, die den Wandel in diesem Berufszweig verstehen, sind hilfreich. Sei es, dass sie niemanden abwerten, der so einen Beruf wählt oder selber einen Beruf im Tiefbau ergreifen. Unser Motto und Teil unseres Nachwuchskonzepts lautet: Je früher, desto besser und je mehr, desto besser. Ich sehe die Herrschaften ja vielleicht in 4 Jahren wieder und sage dann: Herzlich willkommen zum Praktikum oder zur Ausbildung!

Wie steht´s mit dem Image auf dem Bau?

Der Tiefbau hat noch immer mit dem Image aus der Vergangenheit zu kämpfen. Früher bedeuteten diese Berufe wirklich körperlich sehr harte Arbeit. Heutzutage ist das anders. Wir nutzen viele Hilfsgeräte, wie z.B. Minibagger und auch die Materialien sind leichter geworden. Es werden keine Bleirohre mehr geschleppt. Vieles ist aus Kunststoff. Aber in den Köpfen bleiben wir die Malocher auf dem Bau, die in der Grube stehen und schippen, Bier trinken und mit 40 oder 50 Jahren kaputte Knie und einen kaputten Rücken haben. Die Realität heute ist eine ganz andere. Man hat mit 40 oder 45 im Normalfall eine führende Position auf der Baustelle.

Die Karrierechancen bei Frisch & Faust sind groß. Warum? Weil wir in der Branche überaltert sind. Ich will nicht lügen, aber das Durchschnittsalter liegt um die 50. Das bedeutet, wir suchen dringend Nachwuchs. Nachwuchs, der bereit ist, Führungsaufgaben zu übernehmen. Dafür suchen wir Schüler*innen, die einen MSA oder Abi haben.

Azubiplätze besetzen, gelingt das?

Ja. Wir haben das Glück, dass uns seit über 10 Jahren unser kaufmännischer Leiter Dieter Mießen professionell unterstützt und auch vorantreibt. Wir sind mittlerweile einer der besten Ausbildungsbetriebe in Berlin. Werden auch immer wieder ausgezeichnet, von der IHK zum Beispiel. Wir sind aber auch stark vernetzt. Über Berliner Schulpate und andere Träger, die in den Schulen aktiv sind, versuchen wir möglichst viele Schulen zu bespielen, um diese spannenden Tiefbauberufe darzustellen und bekannt zu machen. In diesem Jahr haben wir 15 Azubis für Rohr-, Kanal- und Straßenbau gewonnen, zwei Rohrkanalsanierer und einen Land- und Baumaschinenmechatroniker. D.h. 18 Ausbildungsplätze sind besetzt, wobei wir uns über zwei oder drei Azubis mehr freuen würden.

Und deshalb müssen wir uns attraktiv machen. Wir bezahlen z.B. das Sportstudio und loben Prämien aus für gute Noten. Das Einstiegsgehalt beträgt 800 Euro. Das steigert sich dann auf über 1000 Euro.

Welche Voraussetzungen sollten Jugendliche mitbringen, die sich für eine gewerbliche Ausbildung als Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice interessieren?

Bau ist Teamarbeit. Jugendliche sollten eine soziale Kompetenz haben und gut kommunizieren können. Sie sollten zuverlässig sein und, das wird oft nicht beachtet, eine Affinität zur Mathematik, zu logischem Denken und zu technischen Vorgängen mitbringen. Vor allem sollte ein Lernwille erkennbar sein. Wenn ein*e Bewerber*in nicht 100%ig unsere Voraussetzungen erfüllt und in Mathe eine 4 hat, nehmen wir die Person trotzdem, vorausgesetzt, wir erkennen den Willen, etwas lernen zu wollen. Wir vergessen nie: Wir bilden aus. Da die vom Amt geförderten ausbildungsbegleitenden Maßnahmen oft nicht ausreichen, haben wir eigene Nachhilfesysteme entwickelt und bieten zusätzlichen Unterricht vor allem in Mathe und Deutsch an, denn ein Bauarbeiter sollte natürlich die Grundrechenarten beherrschen, Mengen, Flächen und Räume berechnen können.

 Sie als unser „Botschafter“ heute, was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem Nachwuchs klappt, Azubis sich für einen Beruf interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen?

Wir müssen schlicht und ergreifend frühzeitig verschiedenste Berufswelten darstellen. Da ist auch die Politik gefordert. Es ist wichtig, die Wertigkeit und Wichtigkeit einiger Handwerksberufe wieder in den Vordergrund zu stellen. Will heißen, es sollte in der Gesellschaft ein Wandel stattfinden. Es sollte klar kommuniziert werden, dass man auch ohne Abitur, mit einem Hauptschulabschluss gute berufliche Perspektiven haben kann. Dafür brauchen wir auch die Lehrkräfte.

Ein Beispiel: Ich war in einer Schule und hatte eine Idee für einen kleinen praktischen Arbeitsauftrag mitgebracht. Da sagte mir die Lehrerin: Sie wissen schon, dass Sie hier an einer Schule sind, in der wir es mit Kindern aus vorwiegend prekären Lebenssituationen zu tun haben? Die können das nicht. Und sie hat die Aufgabe nicht an die Schüler*innen weitergegeben. Ich fand das unmöglich. In der Klasse wären sehr wohl zwei oder drei gewesen, die die Aufgabe hätten lösen können. Andere hätten irgendetwas Begleitendes dazu machen können – die Arbeit fotografieren und dokumentieren zum Beispiel. Bestimmt hätte jede*r einen Platz gefunden und ihre/ seine Präferenz entdecken und zeigen können.

Ich sage: Jede*r kann etwas und es ist auch eine Aufgabe der Schule herauszufinden, was es ist. Wenn ich mir ansehe, was in den 9. und 10. Klassen gelehrt wird, dann gebe ich den Schüler*innen fast recht wenn sie sagen: Das brauche ich nie mehr im Leben. Ich hätte gerne, dass in der 9. Klasse nochmals teilweise der Stoff der 5., 6. und 7. Klassen wiederholt wird, um z.B. sicherzustellen, dass sie die Grundrechenarten beherrschen und wissen, dass, wenn sie 1000 Euro verdienen und 20 % Abzüge haben, nur noch 800 Euro zur Verfügung haben.

Wir setzen auf junge dynamische Menschen, die etwas werden wollen, die auch erkennen, dass der Job krisenfest ist. Schauen Sie mal: Alleine das 8.000 km lange Rohrleitungs-Kanalsystem in Berlin ist über 100 Jahre alt. Wir können pro Jahr ca. 80 km renovieren, restaurieren oder neu bauen. Das bedeutet, wir haben die nächsten 100 Jahre Arbeit!

Wir haben fabelhafte Berufe – nur keiner weiß es!

Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate