Lieber Herr Botschafter Rojahn, wann wussten Sie, dass Sie Geigenbauer werden wollen?
Den Entschluss, Geigenbauer zu werden, fasste ich nach einer glücklichen Begegnung mit dem Harmoniker Hans Cousto. Seine Beschäftigung mit dem Oktavgesetz und mit der Stimmkunst haben mich damals bewogen, ein Monochord zu bauen. Ich wollte die Zahlenverhältnisse der musikalischen Intervalle untersuchen, verstehen und erleben. Das Monochord baute ich in der Klangwerkstatt vom Bernhard Deutz. Es war mein erstes Instrument, und es animierte und begeisterte mich für den Instrumentenbau. Von allen Saiteninstrumenten empfand ich die Geige, was Form und Klang angeht, als das vollkommenste Instrument. Und da ich meine Jugend in Franken verbracht hatte und vom Geigenbauerzentrum in Bubenreuth wusste, war der Entschluss schnell gefasst, Geigenbauer zu werden. Es war nicht einfach, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, aber irgendwann hat es geklappt. Die Ausbildung dauerte 3,5 Jahre. Das ist eine kurze Zeit für den Geigenbau. Danach habe ich noch 9 Jahre bei verschiedenen Meistern gelernt, bevor ich mich 2012 selbständig gemacht habe.
Obwohl ich damals kein Instrument spielte, fühlte ich eine große Affinität zur Musik. Vor allem interessiert mich bis heute das Oktavgesetz, das Cousto entdeckt hat. Dadurch ist es möglich, zum Beispiel Planeten in ihren Bahnen, Sphärenharmonien, auch die Spektren der Moleküle und Atome, exakt in den Hörbereich zu transponieren und sich zu vergegenwärtigen. Aber ich glaube es führt zu weit, hier das Oktavgesetz genauer zu erklären.
Für mich schwingt alles, und damit ist alles Musik – deshalb bin ich in die Welt der Klänge eingetaucht und begann Klangkörper zu bauen.
Geigenbau – ist das ein vom Aussterben bedrohtes Kunst-Handwerk?
Nein, das würde ich nicht sagen. Das Interesse für den Geigenbau ist nach wie vor groß. Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf. Neue Instrumente werden nach wie vor gebaut und zudem müssen Streichinstrumente gewartet und manchmal auch repariert werden. In Deutschland gibt es drei Geigenbauzentren: in Markneukirchen (Sachsen), Mittenwald und in Bubenreuth (beide in Bayern). Ich weiß, dass es viele Bewerber*innen für den Beruf gibt und nicht alle können angenommen werden.
Sie sind als Berufspate bei Berliner Schulpate aktiv. Was hat Sie bewogen, diese Idee zu unterstützen?
Den Anstoß dazu gaben Eltern, die bei mir in der Werkstatt waren und mich fragten, ob ich Lust hätte, Kindern etwas über Geigen und deren Bau zu erzählen. Da ich selbst oft die neugierigen Blicke der Kinder und ihr Interesse gespürt habe, hat mir die Idee gefallen. Es gab Gespräche zwischen Lehrer*innen, Eltern und Berliner Schulpate, und so bin ich seit 2018 ein Berufspate und freue mich, wenn ich ab und zu von kleineren Grundschulkindergruppen in meiner Werkstatt besucht werde.
Was halten Sie von dem Konzept, bereits Grundschulkindern ab der vierten/ fünften Klasse Berufsbilder vorzustellen? Manche halten das für zu früh.
Also ich finde das Alter o.k. Ich hatte hier auch schon Kita-Kinder. Da waren drei Betreuer mit dabei und wir hatten alle Hände voll zu tun. War ein bisschen chaotisch. Aber Kinder der vierten/ fünften Klassen haben ein Alter, wo manche schon selbst musizieren und daran interessiert sind zu erfahren, wie ein Instrument eigentlich entsteht. Generell ist es schön, die Neugier der Kinder zu spüren und ihnen einen Einblick in eine für sie unbekannte Welt wie den Instrumentenbau zu ermöglichen.
Ich mag es gerne, wenn die Kinder zu mir in die Werkstatt kommen und ich ihnen alles Mögliche zeigen kann.
Ist Ihr Engagement bei Berliner Schulpate Teil Ihrer Strategie zur Nachwuchs-Akquise?
Nein, das ist nicht die Motivation für mein Engagement. Ich möchte den Kindern etwas mitgeben. Eine berufliche Möglichkeit. Wenn man Kinder für seinen Beruf begeistern will, muss man ihnen das Metier einfach vorstellen. Vielleicht fühlt sich das eine oder andere Kind angesprochen und beginnt sich intensiver mit einem Thema – hier einem Beruf – zu beschäftigen. Damit kann man nicht früh genug anfangen.
Ich finde es schön zu sehen, wie die Kinder mit ihren Geigen wachsen. Viele kommen seit Jahren zu mir in die Werkstatt und ich begleite sie mit meinen Instrumenten. Für Kinder ist es ein völlig anderes Erlebnis, wenn sie in einer Werkstatt eine Geige aussuchen können, indem sie verschiedene Instrumente ausprobieren und dabei die eine oder andere Frage an den Geigenbauer stellen können. Anstatt diese Auswahl anonym online zu treffen. Das Kind hat von Anfang an eine ganz andere Beziehung zu dem Instrument, wenn es ihm persönlich von einem Geigenbauer in einer Geigenbauwerkstatt überreicht wird und nicht von einem Postboten. Aber derzeit werden viele Instrumente eher von den Postboten geliefert. Durch diese Entwicklung sind auch Existenzen der Geigenbauer bedroht. An dieser Stelle vermisse ich ein Bewusstsein, beispielsweise bei einigen Lehrkräften. Sie gehen in den Biomarkt, kaufen regional, empfehlen den Kindern aber beim Kauf oder bei der Miete eines Instrumentes den Weg übers Internet.
Und durch Corona ist alles noch schwerer geworden. Ich musste feststellen, dass aufgrund der Situation viel weniger Menschen sich ein Instrument beim Geigenbauer mieten. Ein Grund dafür ist, dass viele Eltern keinen online-Unterricht mögen, vor allem dann nicht, wenn ihre Kinder gerade mit dem Geigenspiel anfangen möchten. Da ist Präsenzunterricht mit einer Lehrkraft wichtig, die von Anfang an die richtige Handhabe beibringt und auch motiviert. Deshalb verzichteten etliche Eltern aufgrund der Corona bedingten Situation auf die musikalische Entfaltung ihrer Kinder.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den „Kleinen“ bei den Betriebs-Besuchen gemacht?
Wenn die Kinder zu mir in die Werkstatt kommen, erkläre ich ihnen, wie eine Geige entsteht, wie die Ausbildung vonstattengeht, welche Möglichkeiten der Ausbildung es gibt – Fachschule oder Meisterbetrieb – zeige ihnen die vielen Einzelteile, die Holzarten. Sie können alles in die Hand nehmen. Ich habe auch Bilder, die sie ansehen können. Sie können ihre Fragen stellen, und meistens ist das interessant und auch lustig.
Sie als unser „Botschafter“ heute, was denken Sie, braucht Berlin, damit es mit dem „Nachwuchs“ klappt, gerade auch im Handwerk, Azubis die sich für einen Beruf interessieren und eine Ausbildung erfolgreich abschließen?
Dazu braucht es gute Rahmenbedingungen und auch bezahlbare Gewerberäume mit langfristiger Planungssicherheit. Die alte Tradition Lehrling, Geselle, Meister hat sich über Jahrhunderte bewährt. Aber bedauerlicherweise wurde zu Beginn des Jahrtausends in vielen Gewerken die Meisterpflicht für die Selbständigkeit abgeschafft. Das hat man jetzt, ich glaube im letzten Jahr, zum Teil wieder rückgängig gemacht. Beim Orgelbau zum Beispiel, hat man diese Fehlentwicklungen erkannt. Das wünsche ich mir auch für den Geigenbau, denn man braucht Meisterwerkstätten um Lehrlinge ausbilden zu können.- damit die Kunst des Geigenbaus auch für nachfolgende Generationen erhalten bleibt.
Das Interview führte Petra Wermke von Berliner Schulpate